Ohne Spezialisierung bleibst du austauschbar und gehst in der Masse der Anbieter unter, meinen die einen. Wenn du zu eingleisig fährst, nagst du am Ende am Hungertuch, warnen die anderen.
Alle Unternehmer, auch wir Freiberufler, müssen sich am Markt zeigen, damit potenzielle Kunden sie finden. Wer keine Konkurrenz hat, kann an dieser Stelle meinen Beitrag wegklicken und fröhlich weiterziehen. Alle anderen, die nicht in dieser glücklichen Lage sind, lesen jetzt einfach weiter.
Als Freiberufler brauchen wir ein Alleinstellungsmerkmal, etwas, das uns aus der Masse hebt. Schön und gut, sattsam bekannt. Doch wie kommen wir dahin, zumal dann, wenn wir als Übersetzer oder Dolmetscher eine Sprachkombination haben, die nicht gerade ausgefallen ist? Welche Strategie ist die richtige? Der Ratgeber „Positionierung als freiberuflicher Übersetzer – Spezialisierung oder Diversifikation?“, ganz frisch im BDÜ-Fachverlag erschienen, geht dieser Frage nach. Das Gute daran: Er stammt aus der Feder nicht irgendeines Marketingspezialisten, sondern eines Übersetzungsprofis: meiner BDÜ– und Texttreff-Kollegin Ricarda Essrich.
Als Freiberufler können wir unmöglich alles für jeden bieten. Wir müssen uns also zwangsläufig fokussieren, um Qualität zu liefern und die Zielgruppen zu finden, die wir gerne bedienen möchten. Diese Fokussierung lässt sich erreichen über eine Spezialisierung: auf bestimmte Arbeitssprachen etwa, ein ganz bestimmtes oder wenige handverlesene Fachgebiete, in die wir uns dann entsprechend tief einarbeiten können, oder gar für den Kunden nützliche Zusatzleistungen wie Terminologiemanagement, Korrektorat, DTP-Services oder die Vermittlung von Übersetzern für Sprachrichtungen, die man selbst nicht bedienen kann. Womit wir schon beim zweiten Stichwort „Diversifikation“ wären, denn nichts anderes ist es ja, das eigene angestammte Portfolio um solche weiteren Punkte zu ergänzen.
Positionierung = Spezialisierung plus Diversifikation
Spezialisierung oder Diversifikation – was denn nun und wie denn nun? Beim Lesen des Ratgebers wird klar: Der Königsweg besteht darin, beides zu koppeln, und zwar so, dass unser Angebot zu uns passt und authentisch ist, also unseren eigenen Vorstellungen, Motivationen und unternehmerischen Zielen entspricht, und andererseits auch Abnehmer findet, die uns immer gerne wiederbuchen, weil sie mit uns zufrieden sind.
Auf knapp 120 Seiten beschreibt die Publikation, welche Formen eine Spezialisierung annehmen kann, was die Vorteile einer Spezialisierung und ihre (vermeintlichen) Nachteile sind, die sich bei näherem Hinsehen jedoch allesamt in Chancen ummünzen lassen. Schlüssig und nachvollziehbar erläutert Ricarda, warum Spezialisierung und Diversifikation sich mitnichten ausschließen, sondern im Gegenteil die beiden möglichen Seiten der Medaille „Positionierung“ darstellen.
Doch wie „spezialisier-diversifizieren“ wir uns so, dass es zu uns passt? Und wir dabei nicht nur den eigenen Ansprüchen an die Gestaltung unseres Arbeitsalltags und seiner Inhalte folgen, sondern auch ein vernünftiges Auskommen erwirtschaften? Die Autorin gibt die Antwort Schritt für Schritt, sagt, welche Fragen man sich klugerweise vorab stellt und worauf man achten sollte, damit aus dem eigenen Tun ein Paar Schuhe wird, das uns und unseren Kunden passt.
Beim Lesen des Ratgebers merkt man sofort: Hier schreibt eine, die „unser“ Geschäft in- und auswendig kennt, denn es ist ja auch ihres – Spezialisierung inbegriffen (Ricardas Spezialfach ist die Baubranche, wie sie im Buch näher erläutert). Gut strukturiert beleuchtet Ricarda alle wichtigen Aspekte rund um die richtige Positionierung bis ins Detail, unterlegt ihre Ausführungen mit aufschlussreichen Statistiken und betrieblichen Kalkulationsbeispielen.
Viele Praxisbeispiele, gute Tipps und insbesondere die ins Buch eingestreuten Interviews mit vier Übersetzerkolleginnen und -kollegen, die ihre Spezialisierung aus höchst unterschiedlichen Arbeitskontexten ableiten, unterstreichen die Kernaussagen des Buchs: 1. Positionierung ist für die meisten Sprachdienstleister nötig. 2. Möglich wird sie durch geschickte Spezialisierung und Diversifikation.
Fazit: Ein kompakter, rundum gelungener Ratgeber für Übersetzer und Dolmetscher, die sich im unübersichtlichen Sprachmittlermarkt besser positionieren möchten. Zu beziehen über den Fachverlag des BDÜ: bdue-fachverlag.de; Kosten 27 Euro. Website der Autorin: essrich-uebersetzungen.de.