Juni 2014: WM-Zeit. Und ich unterwegs auf Urlaubsreise durch das Engadin, Italien, Frankreich und Katalonien bis nach Spanien. Als es losging, war ich gerade in Italien, und im Verlauf der nächsten beiden Wochen hatte ich Gelegenheit, so manches Vorrundenspiel anzusehen. Klar, Fußball ist ein internationales, ein interkulturelles Ding, das ist eine Plattitüde. Schließlich treffen da Menschen aus 32 „Nationalkulturen“ aufeinander, an tatsächlichen sind es vermutlich sogar noch ein paar mehr. Holländer gegen Australier, Portugiesen gegen Amerikaner, Südkoreaner gegen Russen: Und im fußballerischen Alltag ackern viele von ihnen dann in den großen Fußballclubs Seite an Seite für den Sieg.
Alles klar soweit, doch betrachtet durch die Brille einer Übersetzerin (einer Person also, die es nicht lassen kann, kulturelle Unterschiede wahrzunehmen und sich fortwährend zu fragen, wie zum Kuckuck man dazwischen die Brücke schlägt) zeigt sich die Erkenntnis „Kulturen unterscheiden sich, insbesondere voneinander“ noch an etwas ganz anderem: der Art und Weise der Spielmoderation in unterschiedlichen Sprachen.
Ein kleiner Ort 100 Kilometer südlich von Pamplona. Hungrig betreten wir eine Kneipe. An zwei gegenüberliegenden Wänden aufgehängt Flachbildschirme (klaro, denn immer noch ist eine Kneipe ohne Glotze in Spanien so etwas wie ein Auto ohne Lenkrad), das Vorgeplänkel zum Gruppenspiel Deutschland-Ghana läuft bereits. Der Barkeeper sagt uns, dass es warmes Essen erst ab halb zehn gibt. Wir sollten doch einfach ein Bierchen hier zischen und es uns erst mal gemütlich machen. Das tun wir, und irgendwann beginnt das Spiel. Niemand groß in der Kneipe außer uns, das spanische Silbenschnellfeuer des WM-Moderators schallt durch den Raum. Als der Barkeeper erfährt, dass wir Deutsche und extra wegen des Spiels hier in der Kneipe sind, schaltet er auf ARD um. Die Stadionatmo ist zu hören, und irgendwann, nach gefühlt sehr vielen Sekunden, spricht eine Männerstimme bedächtig: „Müller …… Khedira ……. Schweinsteiger ….“.
Ok, beim Vergleich mit den unangefochtenen Europameistern in puncto „pro Sekunde abgefeuerte Sprechsilben“, sprich den Spaniern, sähe vermutlich jeder auch noch so gewitzte Sprecher anderer Provenienz lahm aus. Aber beeindruckend finde ich diesen Unterschied dann doch.
Zehn Minuten später ruft der Barkeeper zu uns herüber „cambio!“ und schaltet wieder den spanischen Dauerwortschwall ein: Ein paar Leute aus dem Dorf haben die Kneipe inzwischen betreten. Und als das erste Tor fällt, heult der Fernsehmoderator seinen langgezogenen Jubelschrei inbrünstig ins Mikrofon: „Goooooooooooooooool!“ Und alle freuen sich mit, egal, für wen das Tor gefallen ist.
Wortkarg in Wortschwall oder Wortschwall in Wortkarg: Nur gut, dass niemand Fußballmoderation dolmetschen muss!