Viele der Spezies Übersetzer neigen ja durchaus ein bisschen dem Mauerblümchen-Modus zu: Sie machen sich unnötig klein. Alles, was man so richtig könne, seien doch Sprachen. Und überhaupt, man „übersetze ja nur“, da sei nichts Originäres, Eigenes drin und dran. So richtig aus kenne man sich ja in keinem Fachgebiet. Alles nur seeehr oberflächlich, unser Wissen, die reinste Dünnbrettbohrerei …
Stattgegeben, wir haben den Imageteil des Geschäftsberichts nun mal nicht selber geschrieben, den man uns zur Übersetzung vorlegt. Auch nicht das Patent für die geniale Erfindung oder den Immobilien-Kaufvertrag. Oder das Whitepaper, das dem potenziellen Käufer eine schöne IT-Innovation plausibel erklären und schmackhaft machen soll. Auch die Plots geschweige denn die Ideen der Romane, die weltweit zur Unterhaltung, Erbauung, Begruselung und so weiter geneigter Leser und Leserinnen geschrieben werden, stammen selbstredend nicht von den Übersetzern, die das alles Menschen anderer Kulturen zugänglich machen sollen. Aber deshalb müssen wir uns nicht klein denken oder reden – ganz im Gegenteil!
Mauerblümchen? Wir doch nicht!
Wer, so wie ich, aus seiner Berufspraxis mit profanen Gebrauchstexten tagtäglich erfährt, was jenseits der fundierten Kenntnis mindestens zweier Sprachen alles noch zum vermeintlichen Nur-Übersetzen gehört, der kann sich leicht ausmalen, um wieviel mehr noch die Übersetzer und Übersetzerinnen belletristischer Texte leisten. Spiele ich also vielleicht in der Regionalliga, dann spielen die mindestens in der Bundesliga – meine ich zumindest. (Mag sein, dass so mancher Regionalligist das Zeug zur Bundesliga hätte, aber er muss sich ihren Anforderungen im Berufsalltag nicht stellen, und darauf kommt es an.)
Also: Klein reden ist nicht angesagt, auch wenn speziell die im Belletristiksegment üblichen Honorare einen beim fröhlichen Fahrenlassen des Mauerblümchen-Selbstbilds nicht gerade bestärken. Da ist wahrlich noch viel room for improvement, wie die Briten sagen würden, und nicht nur im belletristischen Fach.
Aber wir sollen ja bekanntlich nicht immer nur auf das Schlechte an einer Sache schielen, sondern uns auf das Gute daran konzentrieren. Tun wir es also freudig und lassen das Jammern! Unser Bundespräsident, der jüngst in Schloss Bellevue die Arbeit literarischer Übersetzer gewürdigt hat, stärkt uns dabei den Rücken. Genießen wir die Schützenhilfe, und nutzen wir sie, wo immer möglich, bei der Verhandlung besserer Honorare!