Bei meinem Lieblingsnetzwerk Texttreff blogwichtelt es! Die Teilnehmerinnen am alljährlichen weihnachtlichen Blogwichteln beschenken sich per Losverfahren gegenseitig mit Blogbeiträgen. Meinem Blog wurde Sigrid Strohschneider-Laue zugelost. Laut Sigrid weiß ich als Übersetzerin, was es bedeutet, zwei Sprachen auf einen Nenner zu bringen. Doch als in Österreich lebende Deutsche weiß sie das sehr wohl auch! Sprache muss gelebte Vielfalt bedeuten, um tatsächlich lebendig zu bleiben, meint Sigrid. Hier ihr in eigenen Worten „hausgemachter Sprachauflauf aus dem deutsch-österreichischen Zusammenleben“:
Wien ist seit fast 35 Jahren „meine“ Stadt, obwohl ich eigentlich aus Frankfurt/Main stamme. Ich bin mit einem Wiener verheiratet und wir sprechen nicht nur Frau- und Mann-Deutsch, sondern auch deutsches und österreichisches Deutsch. Unsere Tochter ist somit zumindest zweisprachig aufgewachsen. Wer nun glaubt, dass dieses Deutschgemisch für unsere Tochter unproblematisch gewesen wäre, irrt. Schreibweisen, Satzbau und Verbformen waren vor allem im Gymnasium immer wieder Kritikpunkte, bis ich ihre Professorin – die Gymnasiallehrer in Österreich werden mit „Herr/Frau Professor/in“ angesprochen – über den bestehenden Migrationshintergrund und die sprachliche Korrektheit nicht typisch österreichischer Ausdrucksformen informierte.
Das in Österreich gesprochene und geschriebene Deutsch weist etliche Eigenarten auf. Dazu gehören neben Austriazismen und Redensarten auch grammatikalische Besonderheiten – mal ganz abgesehen von der Aussprache. Letztere trägt in deutschen Ohren wesentlich zur falschen Annahme bei, dass das Österreichische – insbesondere das Wienerische – charmant sei.
Wie auch immer, Sprache bedeutet Vielfalt. Das Österreichische wird gepflegt und hat seine verbrieften Rechte. Allerdings spalten manche Wörter das sprachlich vielfältige Österreich. Einer der beliebtesten Sprachkeile Österreichs sei hier vorgestellt.
Vom Paradies- zum Zankapfel
Als Kolumbus 1492 versehentlich Amerika entdeckte, wurden infolge viele Nachtschattengewächse mitsamt ihren Namen nach Europa verschifft. Sie begannen ihre europäischen Karrieren als Zierpflanzen, darunter auch der peruanische beziehungsweise goldene Apfel. Immerhin war der pomi d’oro 1873 noch exotisch genug, um auf der Wiener Weltausstellung gezeigt zu werden. Um die Jahrhundertwende war es mit der Exotik bereits Salat und Soße und die rote Beere war nicht mehr salon-, sondern marktfähig.
Seither treibt der Streit um die Tomate/den Paradeiser in Österreich außerhalb des Paradiesgartens seltsame Blüten. Obwohl in Österreich die Neigung vorherrscht, Markennamen – möglichst originalgetreu und nicht eingedeutscht – über das Produkt zu stellen (z. B. Obi = Apfelsaft), funktioniert das bei der Tomate nicht.
Der Begriff „Tomate“ entwickelte sich aus dem aztekischen xitomatl und ist als deutsches Lehnwort dicht am ursprünglichen Namen. In Wien und Ostösterreich hat sich sprachlich „Paradeiser“ gegenüber der in Westösterreich üblichen Bezeichnung „Tomate“ durchgesetzt. Wien – die Bundeshauptstadt wird in Westösterreich gerne als Wasserkopf bezeichnet – scheint sich auch in sprachlichen Belangen für das Maß aller Dinge zu halten und verkündet daher selbstbewusst via Netz: „In Österreich sind Tomaten hauptsächlich als Paradeiser bekannt.“ Herr und Frau Österreicher äußern sich zum Thema ebenfalls gerne, und gerne auch derber. Ein Netzkommentar fasst die nationale Sprachstimmung mit „Paradeiser – wohl einer der österreichischsten Ausdrücke – wird leider von der semigermanischen Tomate immer mehr verdrängt!“ zusammen.
Immerhin besteht internationale Einigkeit unter Deutschsprachigen, dass sich weder „Tomeiser“ noch „Paramaten“ durchsetzen werden.
Sigrid Strohschneider-Laue bloggt unter: http://sistlau.at/blog.